Emmanuel Macron hatte sich für die Zukunft Europas viel vorgenommen. Doch die zögerliche Europapolitik Deutschlands, die innenpolitischen Verwerfungen und die Corona-Krise haben seine Ambitionen ausgebremst und gleich zu Beginn wartet mit dem Krieg in der Ukraine eine schwere Herausforderung. Kann die französische EU-Ratspräsidentschaft in diesen Zeiten neue Impulse geben?
Es waren euphorische Reaktionen, die Emmanuel Macron am 26. September 2017 mit seiner Rede an der Sorbonne-Universität auslöste. Die F.A.Z. schrieb, Macron habe sich „als Staatenlenker mit europäischem Führungsanspruch“ gezeigt. Der Spiegel sah im Aufritt „eine Rede gegen den Kleinmut“, kurzum: Man feierte die Verve, mit der sich der jüngste Präsident der V. Republik für den vermeintlich „alten Kontinent“ ins Zeug legte. Die Vorschläge, die er für eine engere Kooperation in der Europäischen Union machte, waren zahlreich: Von einem gemeinsamen Verteidigungsbudget bis zum eigenen Haushalt für die Euroländer, von einer gemeinsamen Asylbehörde bis zu einer Steuer auf Börsengeschäfte. Leidenschaftlich aber mit konkreten Initiativen schuf Macron an diesem Tag an der Sorbonne einen Moment, der den Zauber des Aufbruchs innehatte.
Doch in Berlin reagierte man zögerlich auf die Vorschläge und ließ den französischen Staatspräsidenten zappeln. Trotz der zur Schau gestellten Einigkeit mit Angela Merkel wurde schnell offenbar, dass die deutsche Seite das Tempo und die Dynamik bei einer solchen europäischen Vertiefung nicht mitgehen würde. Erst in der Corona-Krise kam es schließlich zu einer bemerkenswerten deutsch-französischen Initiative: Der Europäische Aufbauplan NextGenerationEU soll dafür sorgen, die Union aus der Krise zu führen, mit einem Investitionsvolumen von über 800 Milliarden Euro, die vornehmlich in grüne und digitale Projekte investiert werden sollen.
„Der letzte Europäer?“
Und nun, 2022, also wieder eine große Europarede: Im Europarlament in Straßburg legte Emmanuel Macron am 18. Januar vor allem einen Akzent auf die großen Prinzipien, die Werte der Union, er verwies auf Frieden und Fortschritt, die er durch aktuelle Krisen in Gefahr sieht. Seinen Auftritt nahmen französische Europa-Parlamentarier zum Anlass, um mit seiner Politik insgesamt abzurechnen. Statt eines glamourösen Auftritts im Nimbus eines großen, vielleicht des „letzten Europäers“ (Der Spiegel), ging es in der Debatte um den verpassten Klimawandel und um den verächtlichen Tonfall, den Macron gegenüber seinen Landsleuten schon allzu oft angelegt hat. Zu diesem Zeitpunkt allerdings wusste noch keiner, dass nur wenige Tage später mit Russlands Angriff auf die Ukraine eine ganze neue Herausforderung vor Macron und ganz Europa liegen würde.
Das Thema EU ist für die meisten Franzosen zwar keine Herzensangelegenheit, doch geschadet scheint es Macron 2017 nicht zu haben. Immerhin geht von der Pro-Europa-Haltung immer etwas „präsidentielles“ aus, etwas Staatsmännisch-Erhabenes, eine Qualität, die durchaus in der kollektiven Mentalität der Franzosen mit ihrer Monarchie erwünscht ist und die in Krisenzeiten wie diesen durchaus von Vorteil sein kann. Bei den nun anstehenden Präsidentschaftswahlen hatte man schon lange den Eindruck, Macron wolle auf die europäische, internationale Karte setzen. Nun zwingt ihn der Krieg in der Ukraine, noch mehr auf internationalem Parkett zu tun, und noch weniger Zeit wird er für die innenpolitischen Scharmützel haben- was ihm am Ende zu Gute kommen könnte. Der Krieg in der Ukraine und die Stellung Macrons auf der europäischen Bühne geben der Wahlkampagne eine neue Dynamik. 50% der befragten Franzosen vertrauen Emmanuel Macron in Bezug des Krieges in der Ukraine, zudem liegt er in den Umfragewerten bei 30.5% , 4 Punkte mehr als vor 11 Tagen.
Plötzlich rückt Europa durch die Bedrohung Russlands enger zusammen und gibt Macrons Rede an der Sorbonne einen besonderen aktuellen Klang. Wie kleinmütig maßt es da an, dass Macrons politischen Gegnern zum Auftakt der französischen Ratspräsidentschaft die große Europa-Flagge unter dem Triumphbogen übel aufgestoßen ist. Für die französische Rechte und extrem Rechte ist Brüssel schon immer der Sündenbock für viele Übel im eigenen Land. Doch jetzt, vor dem Hintergrund der internationalen Verwerfungen, braucht es Europa als diplomatisches Spielfeld und auf diesem Spielfeld spielt Macron eben als einziger auch aufgrund seiner Rolle als Präsident.
„Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit“- Das EU Ratspräsidentschaftsprogram
Es sind schon ohne den Krieg in der Ukraine keine leichten Zeiten für die Union und die Herausforderungen sind zahlreich. Dem begegnet Frankreich mit einem über 70 Seiten umfassenden Programm, über dem die Schlagworte „Aufschwung, Stärke, Zugehörigkeit“ stehen. Darin werden neben dem Kampf gegen die Corona-Pandemie eine Vielzahl von Themenfeldern behandelt und konkrete Vorschläge dargelegt. Vor allem den Umbau der Wirtschaft unter dem Credo der Nachhaltigkeit hat sich Frankreich auf die Fahnen geschrieben, dazu gehört auch die Festschreibung eines CO2-Preises für importierte Produkte. Vage ist in diesem Zusammenhang noch die „Überprüfung der Haushaltsregeln“, bei der gerade Deutschland in der Regel hellhörig wird. Angekündigt ist auch, sich um die Schaffung eines Europäischen Mindestlohns zu bemühen, um das starke soziale Gefälle zwischen den Ländern auszugleichen.
Im Bereich Außen – und Sicherheitspolitik fordert Macron indes eine Reform des Schengener Abkommens und will die Außengrenzen der EU sicherer machen und jene Schutzsuchende, die darauf ein Anrecht haben, sollen in Zukunft gleichmäßiger verteilt werden. Macrons Herzensanliegen wie schon 2017 ist noch immer der Aufbau einer „Verteidigungsunion“. Nach dem geplatzten U-Boot Deal mit Australien ist Europa strategisch wieder mehr in den französischen Fokus gerückt und in diesen Tagen scheint der Verlauf der Geschichte Macron recht zu geben, weil es Europa an militärisch koordinierten und klugen gemeinsamen Antworten jenseits der NATO fehlt. Vielleicht werden nun also weitere Staaten bei den einzelnen Punkten schneller mitziehen und Macrons Ziel der Verteidigungsunion nimmt ernsthaft an Fahrt auf.
Atomenergie: Deutsch-französischer Zankapfel
Zwischen den wichtigsten europäischen Partnern, Frankreich und Deutschland bestehen indes große Meinungsverschiedenheiten über die Zukunft der Kernenergie. Frankreich hat Anfang des Jahres im Rahmen der EU-Taxonomie erwirkt, dass Kernenergie zu einer nachhaltigen Energiegewinnung deklariert wurde, so dass ihr unter Umständen in Zukunft gar direkte oder indirekte finanzielle Förderung zugutekommen könnte. Auch Deutschland hat der Taxonomie zugestimmt, dabei steht Deutschland vor dem 2011 beschlossenen Atomausstieg und hat eine Regierung, an der die Grünen beteiligt sind. Zwar wurde auch das von Deutschland temporär verstärkt eingesetzte Erdgas bei der Taxonomie-Regelung als nachhaltig eingestuft, was dem Land zugute kommt, so muss man dennoch feststellen, dass sich Macron, der statt auf weniger, auf mehr Atomkraft setzen will, diesen Erfolg innerhalb der EU bereits jetzt auf die Fahnen schreibt. Nun allerdings gerät durch die Konfrontation mit Russland die deutsche Energiepolitik unter Druck. Die extreme Abhängigkeit von russischem Gas und Kohle hat dazu geführt, dass die Versorgungssicherheit für Deutschland angezweifelt wird, denn mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien ist das Land noch nicht in der Lage, auf die russischen Importe zu verzichten. Auch das Thema Atomkraft wird unter dem Eindruck der aktuellen Lage also neu bewertet werden.
Alles in allem sind die Aufgaben für die EU seit der Sorbonne-Rede 2017 also nur noch größer geworden, auch weil durch die deutsche Blockade-Haltung wertvolle Zeit und damit Handlungsspielraum verloren gegangen sind. Nun sind die Zeiten extrem schwierig, denn zwischen Krisenmanagement und grundlegenden Reformen der EU wird Macron den Turbo einlegen müssen. Sechs Monate sind für Verfahren in der EU eine verschwindend geringe Zeit, bedenkt man, dass 26 Staaten sich auf Kompromisse einigen müssen. Und was jetzt noch übrig bleibt und umgesetzt werden kann von den Plänen, ist fraglich. Im März will Macron mit einem nächsten Treffen mehr Schwung in die Reformprozesse bringen, angesetzt waren viele Fachministertreffen, um in den einzelnen Punkten voranzukommen. Russland wird nun seine Schatten über all diese Beratungen werfen und Macron wird zwischen Wahlkampf, Krisenbewältigung und ambitionierten Reformplänen schwierige Wochen durchleben.